HERBSTSEQUENZ

„Vom Garten ging ein eigenes Licht aus, als leuchte jedes einzelne Blatt von innen. In den Baumkronen und Büschen öffneten sich Zwischenräume, die den Sommer über verborgen waren. Über allem lag ein Zögern, eine Langsamkeit, als wäre sich alles Leben seiner Schwäche bewusst. Wenn das Sommerlicht einmal gebrochen war, kehrte es nicht mehr zurück. Es erhöhte sich, stieg mehr und mehr auf, strahlte noch einmal in aller wie aus dem Norden kommender Kraft, ehe es sich von der Erde zurückzog und dem Novembergrau Platz machte. Im Novemberlicht waren die Dinge stumpf, verloren ihre Konturen, bereiteten sich auf ein langes inneres Exil vor, das eine Zeitlang noch aus der Erinnerung an das Sommerlicht lebte.

Die Menschen hatten einen anderen Schritt, irgendwie wissender, vorsichtiger. Als wüssten ihre Körper mehr als sie. Das schwindende Licht ließ auch das Leben in mir leiser werden. In den ersten Wochen, ehe ich mich an den heraufziehenden Winter gewöhnt hatte, ergriff mich Ratlosigkeit, ich wusste nicht, wohin mich wenden, was tun, um mich nicht selbst aus den Augen zu verlieren. Doch mit den grauschwarzen Novembertagen stieg auch etwas von der Kinderlust an den frühdunklen Winterabenden in mir auf.“

Aus:Wolfgang Hermann, Abschied ohne Ende